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Vollzugsdefizit bei der Ausweisung von Wasserschutzzonen

Die grüne Regio­nal­rats­frak­ti­on hatte im Juli 2018 ange­fragt. Die Düssel­dor­fer Bezirks­ver­wal­tung hat nun geant­wor­tet. Die Ergeb­nis­se sind alar­mie­rend. Das Voll­zugs­de­fi­zit im Umwelt­be­reich kann kaum deut­li­cher darge­stellt werden. Trotz der Vorga­ben der euro­päi­schen Wasser­rah­men- und Nitra­t­richt­li­ni­en und trotz des entspre­chen­den Landes­was­ser­ge­set­zes hat sich durch das Land NRW in den letz­ten Jahren nicht viel bewegt. Beson­ders ange­spannt ist die Situa­ti­on im Kreis Viersen.

Abschluss­be­richt Nitrat­stu­die des Krei­ses Viersen

Anfra­ge Wasserschutzzonen_74RR_TOP8_SV

Trink­was­ser wird am Nieder­rhein haupt­säch­lich aus Grund­was­ser gemacht. Das verschafft den Wasser­wer­ken ande­re Heraus­for­de­run­gen als die Wasser­ge­win­nung aus Ufer­fil­trat oder Talsper­ren­was­ser. Um die Quali­tät des Trink­was­sers zu schüt­zen, gibt es die Wasser­schutz­ge­bie­te. Dort werden Hand­lun­gen, die sich nach­tei­lig auf die Gewäs­ser auswir­ken können, verbo­ten oder einge­schränkt. Der § 35 des Landes­was­ser­ge­setz schreibt vor, dass die zustän­di­ge Behör­de ein Wasser­schutz­ge­biet durch ordnungs­be­hörd­li­che Verord­nung fest­setzt. Für die Fest­set­zung von Schutz­ge­bie­ten rund um klei­ne­re Wasser­ge­win­nungs­an­la­gen bis zu einer Entnah­me­men­ge von 600.000 Kubik­me­ter jähr­lich sind die Krei­se und kreis­frei­en Städ­te zustän­dig. Für größe­re Brun­nen unse­rer Regi­on besteht die zustän­di­ge Behör­de vorran­gig aus den Menschen, die im Dezer­nat 54 der Bezirks­re­gie­rung arbei­ten. Doch offen­bar ist auch hier die berühm­te Perso­nal­de­cke zu knapp, denn selbst im direk­ten Einzugs­be­reich vieler Wasser­wer­ke fehlen immer noch Wasserschutzzonen.

Hilden-Karnap

Seit 2003 bemü­hen sich zum Beispiel die Stadt­wer­ke Hilden um eine Verlän­ge­rung ihres Wasser­schutz­ge­biets Karnap. Im Janu­ar 2016 ende­te die Verord­nung. Doch bis heute kann die Bezirks­re­gie­rung trotz angeb­lich hoher Prio­ri­tät keine belast­ba­re Aussa­ge zu einer Folge­re­ge­lung tref­fen. Schuld seien Perso­nal­eng­päs­se und die höhe­ren Anfor­de­run­gen an das hydro­geo­lo­gi­sche Gutach­ten. Nach einer Anfra­ge der grünen Regio­nal­rats­frak­ti­on vom Mai 2016 hatte die damals noch unter grüner Leitung stehen­de Bezirks­ver­wal­tung Perso­nal aufge­stockt. Nunmehr habe sich – so die Bezirks­re­gie­rung – „aufgrund von erneu­ten Abgän­gen die glei­che Perso­nal­si­tua­ti­on wie 2016 eingestellt“.

Dülken/Boisheim/Nette

Beson­ders erschre­ckend fällt die Antwort auf die Frage der grünen Regio­nal­rats­frak­ti­on nach der Nitrat­kon­zen­tra­ti­on im Wasser­ko­ope­ra­ti­ons­ge­biet Dülken/Boisheim aus. Die seit 1993 bestehen­de Wasser­schutz­zo­ne hat 2014 durch eine umstrit­te­ne Schwei­ne­mast­ge­neh­mi­gung eine gewis­se regio­na­le Berühmt­heit erlangt. 2016 laute­te die Antwort noch, dass der Nitrat­wert am Wasser­werk Nette stän­dig absin­ke. Heute gesteht die Bezirks­re­gie­rung, dass die NEW bis 2013 eine Mess­stel­le mit mehr als 300 mg Nitrat pro Liter aus den Erhe­bun­gun­gen gestri­chen hat, weil sie eine derar­tig hohe Belas­tung für nicht reprä­sen­ta­tiv oder plau­si­bel gehal­ten habe. Seit 2014 – dem Jahr der Stall­ge­neh­mi­gung – erschei­nen der NEW aber die Werte dieser Mess­stel­le wieder plau­si­bel, zumal sie mitt­ler­wei­le wieder deut­lich abge­sun­ken seien. Nun wagt die Bezirks­re­gie­rung keine Nitrat-Progno­se mehr für die Dülken/Boisheim: „Belast­ba­re Aussa­gen über die zukünf­ti­ge Entwick­lung lassen sich jedoch weder aus länger andau­ern­den Absin­ken noch aus der derzei­ti­gen Stagna­ti­on ableiten.“

Der Erfolg, den die NEW im vori­gen Sommer nach 25 Jahren frei­wil­li­ger Koope­ra­ti­on zwischen Land­wirt­schaft und Wasser­wirt­schaft beju­bel­te, bedarf ange­sichts dieses Umgangs mit Nitrat­sta­tis­ti­ken wohl einer exter­nen Überprüfung.

Erster Platz für den Kreis Viersen

Auf Wunsch der grünen Regio­nal­rats­frak­ti­on hat die Bezirks­re­gie­rung die Daten der Über­wa­chung des unbe­han­del­ten Rohwas­sers und der Messtel­len nach der Wasser­rah­men­richt­li­nie ausge­wer­tet und eine Über­sicht der regio­na­len Nitrat­kon­zen­tra­tio­nen im ersten Grund­was­ser­stock­werk erstellt. Wenig über­ra­schend: die Nitrat­wer­te der Acker­flä­chen liegen deut­lich über dem Durch­schnitt. In den Krei­sen Kleve und Vier­sen liegen auch alle ande­ren Mess­stel­len über dem Durch­schnitt. Einzig im Kreis Vier­sen befin­den sich die mitt­le­ren Nitrat­kon­zen­tra­tio­nen der Rohwas­ser­brun­nen „deut­lich über dem Grenz­wert der Trink­was­ser­ver­ord­nung von 50 mg/l“.

Zwischen 1962 und 1982 hatte sich der durch­schnitt­li­che land­wirt­schaft­li­che Stick­stoff­ei­trag verdop­pelt. Im Okto­ber 1982 frag­te daher eine Diskus­si­ons­ver­an­stal­tung der Vier­se­ner „VHS-Brennpunkt“-Reihe:“ Trink­was­ser – bald ein teurer Luxus?“ Damals brach­te Stadt­wer­ke-Chef Peter Scha­de die anwe­sen­den Land­wir­te mit dem Vorwurf auf, sie woll­ten ihre Ernten im Zuge der Indus­tria­li­sie­rung maxi­mie­ren statt opti­mie­ren und bräch­ten deshalb unkon­trol­liert zu viel Stick­stoff auf. Die Wasser­wer­ke könn­ten daher den ab 1985 gelten­den Höchst­wert für Nitrat von 50 mg/l nur mit teuren tech­ni­schen Maßnah­men einhal­ten. Er hatte Recht: noch heute gibt’s im Kreis Vier­sen Trink­was­ser unter dem Nitrat­grenz­wert durch Verschnitt mit noch unbe­las­te­ten Wasser aus dem zwei­ten Grundwasserstock.

Das wird prekär durch eine „auskei­len­de Tonschicht im Kreis Vier­sen”. Seit über 100 Jahren kommt es hier „auf den Ton an“. Jetzt weist die grund­wass­er­schüt­zen­de Schicht Löcher aus oder ist gar nicht mehr vorhan­den. Nüch­tern beschreibt die Bezirks­re­gie­rung die Vier­se­ner Lage: „Durch eine Grund­was­ser­för­de­rung im tiefe­ren Stock­werk beim gleich­zei­ti­gen Vorlie­gen von Fehl­stel­len in den Tonho­ri­zon­ten in unmit­tel­ba­rer Nähe wird der Prozess des Nitrat­ein­trags noch beschleunigt.“

Mit einer Erwei­te­rung der Wasser­schutz­ge­bie­te ist aller­dings vorerst nicht zu rech­nen. Weil die Erar­bei­tung einer einzel­nen Wasser­schutz­ge­biets­ver­ord­nung sehr viel Zeit bean­spru­che, warte die Bezirks­re­gie­rung erst einmal ab, ob und wann das Umwelt­mi­nis­te­ri­um von seinem Recht Gebrauch macht, per Verord­nung Schutz­be­stim­mun­gen für alle oder mehre­re Wasser­schutz­ge­bie­te Nord­rhein-West­fa­lens fest­zu­le­gen. Die „VHS-Brenn­punkt-Frage“ von 1982 steht daher weiter unbe­ant­wor­tet auf der Vier­se­ner Tagesordnung.

Voll­stän­di­ge Antwor­ten auf die grünen Anfra­gen zu den Wasser­schutz­zo­nen im Bezirk Düsseldorf 

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