Foto: Braunkohle - Rolf Dobberstein pixabay

Lützerath auf der Waage der Justitia

Der Struk­tur­wan­del im “Rhei­ni­schen Revier” ist eine der heraus­for­derns­ten Aufga­ben­stel­lun­gen unse­rer Zeit. Beson­ders deut­lich hat dies die Klau­sur­ta­gung des Regio­nal­ra­tes Düssel­dorf am 18.11.21 / 19.11.21 gezeigt , wobei die Neuord­nung des gesam­ten Wirt­schafts­rau­mes, der sich gleich­zei­tig zu einem Lebens- und Arbeits­raum mit hohem quali­ta­ti­ven und nach­hal­ti­gen Anspruch entwi­ckeln soll im Vorder­grund stand.

Was ist aber mit den gewach­se­nen Struk­tu­ren vor Ort – mit Grün­zü­gen – mit Biotop­ver­bün­den – mit den Menschen, deren Heimat lange Zeit “auf der Kippe” stand und steht, wie es im Ort Lützer­ath weiter­hin der Fall ist?

Dazu hat unser Frak­ti­ons­mit­glied im Ausschuss für Wirt­schaft und Strukturwandel,

Manfred Bött­cher bei Grenz­land­grün mit dem folgen­den Beitrag zur aktu­el­len Situa­ti­on Stel­lung bezogen:

Koali­ti­ons­ver­trag: „Über Lützer­ath werden die Gerich­te entscheiden.“

Die im drit­ten Umsied­lungs­ab­schnitt betrof­fe­nen Dörfer im Rhei­ni­schen Revier wollen wir erhal­ten. Über Lützer­ath werden die Gerich­te entschei­den.“ Das verspricht das neue Ampel­bünd­nis für Frei­heit, Gerech­tig­keit und Nach­hal­tig­keit in seinem heute unter der Über­schrift „Mehr Fort­schritt wagen“ veröf­fent­lich­ten Koali­ti­ons­ver­trag (1).

Wie sind die ersten Reaktionen?

Das Bünd­nis “Alle Dörfer blei­ben” bewer­tet die Kohle­aus­stiegs­plä­ne der Ampel­ko­ali­ti­on trotz der unzu­läng­li­chen Klima­schutz­maß­nah­men als bedeu­ten­den Etap­pen­sieg des Wider­stands gegen Kohle­ab­bau und feiert den Erhalt von fünf Dörfern am Tage­bau Garz­wei­ler II als “star­ken Erfolg” ihrer jahr­zehn­te­lan­gen Protes­te. (2)

Auch der BUND NRW begrüßt den erklär­ten Willen der poten­zi­el­len Koali­tio­nä­re, die Dörfer Keyen­berg, Kuckum, Unter­west­rich, Ober­west­rich und Berve­r­ath zu erhal­ten und den Kohle­aus­stieg zu beschleu­ni­gen. Auch der jetzt auf 2022 vorge­zo­ge­ne Über­prü­fungs­schritt sei wich­tig, schreibt er in seiner heuti­gen Pres­se­mit­tei­lung. (3) Der BUND sieht im Koali­ti­ons­ver­trag den klaren Auftrag an die nord­rhein-west­fä­li­sche Landes­re­gie­rung, eine neue Braun­koh­le-Leit­ent­schei­dung zu verab­schie­den. Sie müsse den Erhalt aller bewohn­ten Sied­lun­gen fest­schrei­ben und Zwangs­ent­eig­nun­gen zuguns­ten der Tage­baue ausschlie­ßen, meint BUND-Landes­vor­sit­zen­der Holger Sticht. Zudem dürfe das Land keine neuen berg­recht­li­chen Zulas­sun­gen zur Kohle­ge­win­nung erteilen.

Um auf einen mit dem Pari­ser 1,5 Grad-Ziel konfor­men Braun­koh­le­aus­stiegs­pfad zu kommen, müsse die Kohle­för­de­rung im Tage­bau Garz­wei­ler dras­tisch gegen­über den bishe­ri­gen Planun­gen redu­ziert werden. Eine ener­gie­po­li­ti­sche Notwen­dig­keit zum dorti­gen Kohle­ab­bau in dem bisher geplan­ten Umfang von bis zu 600 Millio­nen Tonnen exis­tie­re nicht. Das hätten mehre­re Gutach­ten, unter ande­rem auch des Deut­schen Insti­tuts für Wirt­schafts­for­schung (DIW) (4) belegt.

Damit müsse auch Lützer­ath erhal­ten werden. BUND-Geschäfts­stel­len­lei­ter Dirk Jansen kriti­siert: „Dass die Ampel­ko­ali­ti­on dies­be­züg­lich die Verant­wor­tung auf die Gerich­te abschiebt, ist feige.“ (3)

Der Satz „Über Lützer­ath entschei­den die Gerich­te” zeige, dass die Ampel knei­fe, wenn sie in Konzern-Profi­te eingrei­fen muss, meint „Alle Dörfer blei­ben“ im heuti­gen Tweet (5) Dass nun Keyen­berg, Kuckum, Unter- & Ober­west­rich und Berve­r­ath erhal­ten blei­ben, sei kein Zufall: sie liegen am Nord­rand des geplan­ten Tage­baus, seien RWE also kaum im Weg und wären selbst bei einem Kohle­aus­stieg 2038 sehr wahr­schein­lich erhal­ten worden. Die größ­ten Kohle­men­gen lägen unter Lützer­ath und Immer­ath. „Es ist ein Versuch, die Verant­wor­tung abzu­wäl­zen und das Thema aus dem Wahl­kampf in NRW raus zu halten. Das wird nicht funk­tio­nie­ren.“ (5)

„Einer­seits empfin­de ich riesi­ge Erleich­te­rung und Freu­de über die Rettung unse­res Zuhau­ses, ande­rer­seits bin ich scho­ckiert, dass Lützer­ath weiter für klima­schäd­li­che Braun­koh­le abge­bag­gert werden soll“, sagt Waltraud Kiefern­dorf aus Kuckum von der Soli­dar­ge­mein­schaft Menschen­recht vor Bergrecht.

Eckardt Heukamp, der letz­te Land­wirt des klei­nen Dorfes Lützer­ath, wehrt sich derzeit vor dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Müns­ter gegen seine vorzei­ti­ge Enteig­nung durch den Kohle­kon­zern RWE. Das Dorf selbst ist zudem zurzeit von etwa 100 Aktivist*innen bewohnt, Ende Okto­ber kamen 5000 Menschen zu einer Demons­tra­ti­on für den Erhalt des Ortes.

Die Klima­ge­rech­tig­keits­be­we­gung zeigt sich weiter­hin entschlos­sen, Lützer­ath vor der Zerstö­rung zu bewah­ren, falls RWE mit Abriss­ar­bei­ten begin­nen soll­te. Die Bagger des Kohle­kon­zerns sind aktu­ell nur noch 200 Meter vom Dorf entfernt.

Alex­an­dra Brüne vom Bünd­nis “Alle Dörfer Blei­ben” beschreibt die Lage: „Die Ampel-Koali­ti­on ist weiter­hin bereit, unser Nach­bar­dorf Lützer­ath im Tage­bau zu begra­ben und dafür Eckardt Heukamp zu enteig­nen. Doch mit der Zerstö­rung von Lützer­ath ist die 1,5°-Grenze nicht einzu­hal­ten. Darum gehen unse­re Protes­te weiter.“ Auch Fridays for future verkün­det heute per Twit­ter, weiter für Lützer­ath zu kämp­fen, denn „der Koali­ti­ons­ver­trag sei vieles – klima­ge­recht sei er nicht (6).

Alex­an­dra Brüne bleibt zuversichtlich:

„Fünf Dörfer haben wir geret­tet, und den Kampf um Lützer­ath werden wir auch gewin­nen!“ (2)

Anmer­kun­gen:

  1. Mehr Fort­schritt wagen. Bünd­nis für Frei­heit, Gerech­tig­keit und Nach­hal­tig­keit. Koali­ti­ons­ver­trag 2021 – 2025 zwischen der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Partei Deutsch­lands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Frei­en Demo­kra­ten (FDP) . [Online] 24. Novem­ber 2021. https://cms.gruene.de/uploads/documents/Koalitionsvertrag-SPD-GRUENE-FDP-2021 – 2025.pdf 
  2. Alle Dörfer blei­ben. Koali­ti­ons­ver­trag: Fünf Dörfer geret­tet, der Kampf um Lützer­ath und 1,5 Grad geht weiter. [Online] 24. Novem­ber 2021. https://www.alle-doerfer-bleiben.de/presse/pressemitteilungen
  3. BUND NRW. Koali­ti­ons­ver­trag: Alle Braun­koh­le-Dörfer müssen blei­ben . [Online] 24. Novem­ber 2021. https://www.bund-nrw.de/presse/detail/news/koalitionsvertrag-alle-braunkohle-doerfer-muessen-bleiben-windenergieblockade-in-nrw-beenden/
  4. Deut­sches Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung. Kein Grad weiter – Anpas­sung der Tage­bau­pla­nung im Rhei­ni­schen Braun­koh­le­re­vier zur Einhal­tung der 1,5‑Grad-Grenze. [Online] 11. Juni 2021. https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
  5. Alle Dörfer blei­ben. Tweet vom 24. Novem­ber 2021. [Online] https://twitter.com/AlleDoerfer/status/1463545625929265152.
  6. [Online] https://twitter.com/FridayForFuture.

Grenz­land­gruen – 20:47 @ Struk­tur­wan­del im Rhei­ni­schen Revier

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